Der Kriegsächtungspakt - Briand-Kellogg-Pakt (1928) (2024)

1.


Am 27.08.1928 unterzeichnete Deutschland neben 10 weiteren Nationen den Kriegsächtungspakt, der auch Briand-Kellogg-Pakt genannt wird. Ihm traten bis Ende 1929 weitere 44 Staaten, darunter auch Polen, bei. Im Wesentlichen regelt er folgendes:

  • die Verurteilung und den Verzicht auf den Krieg als Werkzeug der Politik (Artikel I);


    [*]

    die Pflicht, Streitfälle niemals anders als friedlich zu lösen (Artikel II) und

    [*]

    den Verlust der Vorteile des Paktes für denjenigen Staat, der zum Angriffskrieg schreitet (Präambel).

Den vollständigen Wortlaut des Paktes findet man hier: http://www.lsg.musin.de/geschichte/wr/Quellen/Kellog_Pakt.htm

2.


Bei dem Kriegsächtungspakt handelt es sich um einen rechtsverbindlichen völkerrechtlichen Vertrag. Er wurde für unbestimmte Zeit abgeschlossen, ist unkündbar und gilt infolgedessen auch heute noch. Aufgrund des in der UN-Charta enthaltenen umfassenderen Gewaltverbotes hat er jedoch heutzutage an Bedeutung verloren (vgl. Art 2 Nr. 4 UN-Charta).

Rechtsgeschichtlich stellte der Pakt eine Revolution dar. Seit jeher waren die Staaten berechtigt zur Genugtuung oder zur Durchsetzung völkerrechtlicher Ansprüche einen Angriffskrieg zu führen. Mit der Unterzeichnung dieses Paktes gaben sie dieses Recht zu Gunsten friedlicher Koexistenz auf.

Mit dem Pakt wurde lediglich der Angriffskrieg verboten. Dies ergibt sich eindeutig aus der Entstehungsgeschichte – insb. der amerikanischen Note vom 23.06.1928 - und dem Sinn und Zweck des Paktes. Der Notwehrkrieg, zu dem auch der Nothilfekrieg gehört, blieb erlaubt.

Der Pakt enthält keine Vorschriften über die friedliche Streitbeilegung oder über Sanktionen bei Verstoß gegen die Vertragsvorschriften. Mit der Generalakte für die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten vom 26.9.1928 wurden ergänzende Regelungen verabschiedet. Bei einem verbotenen Angriff bestand die rechtliche Funktion des Paktes darin, dass sich künftig jeder Angreifer ins Unrecht setzte und somit die Staatengemeinschaft künftig jedem Angriffsopfer Nothilfe leisten durfte.

3.

Benannt wurde der Kriegsächtungspakt nach dem französischen Außenminister Aristide Briand und dem amerikanischen Außenminister Frank Kellogg. Doch dass dieser zustande kam, war vor allem ein großer Erfolg für Deutschlands Außenministers Gustav Stresemann:

Am 20.06.1927 schlug Briand den USA den Abschluss eines zweiseitigen Vertrages vor, mit dem zwischen den Vertragspartnern (also nur Frankreich und den USA) auf das Mittel des Krieges für alle Zeiten verzichtet werden sollte. Briand griff mit diesem Vorschlag die Initiative amerikanischer Pazifisten auf und versuchte die USA durch diesen fest an Frankreich zu binden. So sollte die Festigung des mit dem Versailler Vertrag erreichten Besitzstandes und die Geneigtheit Amerikas für die in Europa anstehenden Fragen der Abrüstung, der Reparationen und der interalliierten Schuldenregelung, etc. erreicht sowie demonstriert werden, dass die Franzosen über bessere Beziehungen zu den USA verfügen als die sich allmählich von den Belastungen des Versailler Vertrages erholenden Deutschen.

Briands Vorschlag war in der pazifistisch orientierten amerikanischen Öffentlichkeit populär. Doch für die US-Regierung war er nicht akzeptabel. Er hätte die Spielräume der amerikanischen Europapolitik zu stark zu Gunsten Frankreichs eingeschränkt. Kellogg legte deshalb am 28.12.1927 einen Gegenentwurf vor, in dem er die von den Franzosen angestrebte Bilateralität ins Globale erweiterte: alle Staaten der Welt sollten den Pakt, mit dem der Krieg geächtet werden sollte, unterzeichnen können - auch Deutschland.

Kelloggs Entwurf bedeutete für Frankreich ein Problem. So würden sich die von Paris angestrebten bevorzugten Sonderbeziehungen mit den USA nicht erreichen lassen. Zudem würde das Kriegsverbot Frankreichs Spielraum gegenüber Deutschland einengen. Das bisherige Völkerrecht erlaubte es ja zur Durchsetzung völkerrechtlicher Ansprüche notfalls auch Krieg zu führen. ABER die französische Regierung konnte den Vorschlag von Kellogg nicht einfach ablehnen. Notgedrungen begannen die Franzosen auf Zeit zu spielen in der Hoffnung, dass sie die von ihnen gerufenen Geister allmählich wieder loswerden.

Es war Stresemann, der dafür sorgte, dass Frankreich diese Geister nicht mehr los wurde. Die Verpflichtung, auf den Krieg als Mittel der Konfliktregelung zu verzichten und Streit friedlich auszutragen, kam Deutschland entgegen: Sie schränkte Frankreichs politische Bewegungsfreiheit ein, relativierte die Macht seines ostmitteleuropäischen Allianzsystems und untersagte Frankreich an sein überlegenes Waffenarsenal zu appellieren. Wenn sich die Franzosen ohne die Drohung mit der ultima ratio (Krieg) mit den Deutschen über Reparationen und andere Versailler Folgen einigen mussten, war das nur bei Ausgleich der Gegensätze möglich. Davon konnte das Deutsche Reich, dessen Gebiete teilweise noch bis 1930 von Frankreich besetzt waren, nur profitieren.

Also schaltete sich das Deutsche Reich in die zwischen Frankreich und den USA hin- und hergehende Debatte ein. Es bemühte sich zu vermitteln und erhob das amerikanische Anliegen weitgehend zur eigenen Sache. So eng waren die deutsch-amerikanischen Beziehungen damals noch nie und sollten sie bis 1945 auch nicht mehr werden. Letztlich musste sich Frankreich dem amerikanischen Willen fügen. Kellogg konnte im Angesicht französischer Ausflüchte, Verzögerungen und Behinderungen immer wieder auf die tatkräftige Hilfe der Deutschen zählen. Frankreich drohte weit mehr als nur das angestrebte Ziel zu verlieren. Acht Monate nach dem Kelloggschen Gegenentwurf wurde der Vertrag zur Ächtung des Krieges am 27.08.1928 unterschrieben. Am 24.07.1929 trat er in Kraft.

Literatur: Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich – Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, 1999, S. 572 ff.

4.

In der Folgezeit wurde der Kriegsächtungspakt häufig gebrochen. Der Angriffskrieg war zwar verboten, aber er verschwand nicht. Das Verbot allein konnte ihn nicht aus der Welt schaffen. Die bloße Existenz von Rechtsregeln führt eben noch nicht zu deren Befolgung. Entscheidend ist vielmehr das Rechtsbewusstsein der Handelnden.

Auf das Rechtsbewusstsein der Regierungen hatte der Pakt durchaus seinen Einfluss. Künftig galten Angreifer als Rechtsbrecher und trugen unbezweifelbar die volle Schuld für den Ausbruch ihres Krieges. Glaubt man den offiziellen Verlautbarungen, werden seitdem nur noch Notwehrkriege geführt. So soll es sich z.B. beim italienischen Angriff auf Äthiopien (1935) - Roms Angaben zufolge - um einen Akt der Notwehr gehandelt haben. Selbst Hitler versuchte der internationalen Öffentlichkeit und seinem Volk den deutschen Angriff auf Polen als Akt der Selbstverteidigung zu verkaufen ("seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen!"). Doch gerade diese Maskierungsversuche belegen, dass den Paktbrechern durchaus klar war, wie ihre „Notwehrakte“ nach dem Pakt zu beurteilen waren.

Der Pakt enthielt keine Sanktionen für den Fall eines Paktbruches. Man verzichtete bewusst darauf, eine PFLICHT der Unterzeichnerstaaten zu konstruieren, zu Gunsten des angegriffenen Staates in einen verbotenen Krieg eintreten zu müssen. Eine solche Verpflichtung wäre in der Praxis ohnehin nicht durchsetzbar gewesen. Wie sollte man einen Staat zwingen, seine Existenz durch einen Krieg zu gefährden, um sich für die Existenz eines anderen angegriffenen Staates einzusetzen? Auch wäre das Ziel des Paktes, den Krieg zu ächten, in die Ferne gerückt, wenn künftig die Unterzeichnerstaaten erst einmal an jedem Krieg mitwirken müssten. Doch auch wenn der Pakt keine Sanktionen enthielt, war mit ihm eine wichtige Konsequenz verknüpft. Er setzte den Angreifer ins Unrecht. Alle Unterzeichnerstaaten hatten im Rahmen ihres Nothilferechtes, welches der Pakt nicht beschnitt, das RECHT, dem Unrechtsopfer Beistand zu leisten (Nothilfekrieg). „Von nun an wird der Staat, der es wagen würde, die Verurteilung aller Paktunterzeichner herauszufordern, sich der sicheren Gefahr aussetzen, dass sich allmählich und freiwillig eine Art von allgemeiner Solidarität gegen ihn bildet, deren furchtbare Folgen er bald zu spüren bekäme. Und welcher Staatsmann, dessen Land den Pakt unterzeichnet hat, würde die Verantwortung auf sich nehmen, es einer solchen Gefahr auszusetzen? Das neue Gesetz der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker zwingt jeden Staatsmann, das denkwürdige Wort des Präsidenten Coolidge auf sich zu beziehen: »Krieg, auf welchem Punkt der Erde er auch geführt werden mag, ist eine Handlung, die die Interessen meines Landes schädigt.«“ (Aristide Briand am 27.08.1928 zur Unterzeichnung des Paktes - zitiert aus dem Buch „Reden die die Welt bewegten“, Emil Vollmer Verlag, 9. Auflage, S. 336, 338).

5.

Hitler schenkte Briands Mahnung keine Beachtung. In seinen von der Vorherrschaft der überlegenen germanischen Rasse beherrschten Vorstellungen war letztlich kein Platz für friedliche Koexistenz mit den - aus seiner Sicht - unterlegenen Ostvölkern. Mit dem Angriff auf Polen vom 1.9.1939 schritt er zur Umsetzung seines Konzeptes vom „Lebensraum im Osten“. England und Frankreich traten in den Krieg zu Gunsten des angegriffenen Polens ein und führten gegen Hitler einen Nothilfekrieg. Wie von Briand vorhergesagt, formierte sich gegen den Paktbrecher allmählich und freiwillig (man kann auch sagen notgedrungen) die Große Koalition der meisten Paktunterzeichnerstaaten.

Nach dem Zusammenbruch Deutschlands im Mai 1945 unterzeichneten die Siegermächte am 8.8.1945 das Statut des Internationalen Militärtribunals, der in Nürnberg den Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher durchführte. Auf der Basis dieses Statutes lautete einer der Anklagepunkte: „Planung, Entfesselung und Durchführung eines Angriffskrieges“. Dieses Verbrechen wurde aus der Verletzung des Kriegsächtungspaktes abgeleitet.

Die Verteidigung wendete gegen die Anklage vor allem zwei Gesichtspunkte ein:

  • Das Statut sei erst nach dem Krieg geschaffen worden. Es schaffe mit dem „Verbrechen gegen den Frieden“ Straftatbestände, die es vorher nicht gegeben habe und verstoße hierdurch gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege“ (keine Strafe ohne Gesetz). Folglich seien die Tatbestände des Statuts auf die bis zum Kriegsschluss begangenen Handlungen – unbeschadet ihrer Verwerflichkeit – nicht anzuwenden.

  • Das Verbrechen gegen den Frieden sei hinsichtlich seiner völkerrechtlichen Ableitung zweifelhaft. Gegen den Kriegsächtungspakt sei schon vor 1939 mehrfach verstoßen worden, ohne dass daraus eine strafrechtliche Verantwortung der handelnden Personen abgeleitet wurde. Der Kriegsächtungspakt verpflichte allein die Staaten, nicht die Politiker und belege ihr Verhalten nicht mit Strafen. Zum Verbrechen gegen den Frieden gelange man nur aufgrund eines unzulässigen Doppelsprungs vom Staatenunrecht zum individuellen Unrecht und von diesem zum strafbaren Unrecht voraus.

Beide Einwände waren freilich wenig überzeugend:

  • Der Grundsatz, dass Straftatbestände vor Begehung der Tat gesetzlich festgeschrieben sein müssen („nulla poena sine lege“), ist kein universell geltendes Prinzip. Er galt damals weder in den angelsächsischen Rechtsordnungen, die auf dem Gewohnheitsrecht basierten, noch im Strafgesetzbuch des NS-Staates. Schließlich setzt dieser Grundsatz denknotwendigerweise eine abschließende Kodifikation des Strafrechts voraus. Das vor 1945 überwiegend auf Gewohnheitsrecht beruhende Völkerrecht erfüllte diese Bedingung aber nicht und darf angesichts seiner 1939 gerade erreichten durchaus lückenhaften Entwicklungsstufe nicht an den strengen Prinzipien entwickelter Strafrechtsordnungen gemessen werden.

  • Das Handeln des Staates ist nur eine Fiktion. Er kann nur durch seine Organe handeln, die von Einzelpersonen gebildet werden. Auch die Vorbereitung und Führung eines Angriffskrieges unter Bruch des Kriegsächtungspaktes ist letztlich auf das Handeln von Einzelpersonen zurückzuführen. Für deren Handeln muss der Staat zwar nach Außen haften (Schadenersatz, Reparationen, Wiedergutmachungsleistungen, etc.). Aber die Einzelpersonen tragen auch eine eigene Verantwortung für den Rechtsbruch des Staates. Da der Staat nach dem Grundsatz der Staatenverantwortlichkeit für die Wiedergutmachung des Rechtsbruches haftet, kann die Folge des Rechtsbruchs für die Einzelpersonen nur deren Bestrafung sein.

Literatur zu den Hauptkriegsverbrecherprozessen und deren rechtlichen Bewertung:
1. http://www.topographie.de/imt/index.html
2. http://www.shoa.de/content/view/341/184/
3. Eberhard Menzel/Knut Ipsen/Volker Epping, Völkerrecht, 2004

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